Validierung des Psychopathietests
Unser Psychopathietest basiert nicht auf amateurhaft zusammengewürfelte Fragen, die sich ein Einzelner
überlegt hat, ohne jegliche empirische Validierung, also Prüfung, ob der Test misst, was er messen soll.
Miller et al. (2001) stellten sich die Frage, ob Psychopathie adäquat durch die
Big-Five Persönlichkeitsdimensionen repräsentiert werden können. Da nur wenig Forschung zu diesem Thema vorlag, das Konstrukt Psychopathie nicht einfach zu erfassen ist und zu guter Letzt Psychopathen nicht auf Bäumen wachsen, mussten Miller et al. (2001) teilweise Umwege in Kauf nehmen, um die Forschungsfrage zu beantworten.
Der prototypische Psychopath
Der erste Schritt hierbei war die Erstellung eines Prototypen. Welche Eigenschaften nach der Big-Five Persönlichkeitsstruktur hat ein Psychopath? Psychopathen direkt konnten die Forscher nicht fragen, da diese nicht einfach zu finden sind und eine herausragende Eigenschaft des Psychopathen sein Hang zur Lüge und Manipulation ist (Walsh & Wu, 2008). So wurden Experten im Bereich der Psychopathieforschung gebeten, den typischen Psychopathen anhand der Facetten bzw. Subeigenschaften der Big-Five Persönlichkeitsstruktur zu bewerten. Antworten von insgesamt 15 Experten konnten akquiriert werden. Mit ihrer Hilfe wurde ermittelt, wie ein Psychopath in einem Big-Five Persönlichkeitstest abschneiden würde, wäre er ehrlich.
Vergleich des prototypischen Psychopathen mit bestehender Forschung
Miller et al. (2001) prüften das Ergebnis ihres Psychopatieprototypen anhand einer existierenden Einschätzung von vorhergehenden Forschern, welche Persönlichkeitseigenschaften ein Psychopath besitzt. Die Mitautoren der Studie Widiger und Lynam hatten bereits 1998 das am weitesten verbreitete Instrument zur Messung von Psychopathie, den PCL-R von Hare (Patrick & Brislin, 2014), untersucht und die dort gestellten Fragen in Persönlichkeitseigenschaften der Big-Five übersetzt (Miller et al., 2001). Ihre Ergebnisse wurden in der Studie von Miller et al. (2001) wiederum in Zahlenwerte transformiert und anschließend mit dem Psychopathieprototypen korreliert. Es konnte eine Korrelation von r= 0,64 berechnet werden. Es handelt sich hierbei also um einen stärkeren Zusammenhang. Das, obwohl bei der Übersetzung des PCL-Rs nur 2/3 aller Big-Five Eigenschaften berücksichtigt wurden. Der Prototyp wurde jedoch in allen Persönlichkeitseigenschaften der Big-Five eingeschätzt. Daher wurden den Eigenschaften, die bei der Übersetzung des PCL-Rs nicht berücksichtigt wurden, ein Zahlenwert zugeordnet, der eine mittlere Ausprägung bedeutet. Ob die angenommene mittlere Ausprägung zum Persönlichkeitsprofil eines Psychopathen passt, wurde nicht berücksichtigt. Diese Vorgehensweise stellt also einen potenziell großen Störfaktor dar, der die gefundene Korrelation reduziert hat.
Der Psychopathenprototyp als Psychopathiemaßstab
Nach der ersten Prüfung des Prototypen anhand der Arbeit von Widiger und Lynam wurden die Werte des beispielhaften Psychopathen genutzt, um die Ähnlichkeit von Persönlichkeitsprofilen zur Psychopathenpersönlichkeit zu bestimmen. Hierzu wurde der Psychopathy Resemblance Index (RPI) berechnet. Auch die Psychopathenmessung auf unserer Seite arbeitet mit dem RPI. Letztendlich wird hierbei unter Berechnung der Intraclass Q-Correlation bestimmt, inwiefern das Persönlichkeitstestergebnis einer Person dem Testergebnis des prototypischen Psychopathen ähnelt (Miller et al., 2001). Den Forschern lag hierbei eine Stichprobe von 481 Personen vor, die an einer Längsschnittstudie zu Substanzmissbrauch teilnahmen (Miller et al., 2001). Diese legten unteranderem einen Big-Five Persönlichkeitstest ab. Für alle Studienteilnehmer wurde nun der RPI, also der Ähnlichkeitsgrad zur psychopathischen Persönlichkeit berechnet. Der RPI selbst wiederum wurde mit den Persönlichkeitseigenschaften des Big-Five Persönlichkeitstests korreliert. Man hat letztendlich überprüft, welche Persönlichkeitseigenschaften stärker ausgeprägt sind, wenn auch der RPI hoch ist und somit eine höhere Ähnlichkeit zu Psychopathen existiert. Die so gefundenen Zusammenhänge wurden mit den Vorhersagen der früheren Studie von Widiger und Lynam verglichen. Wie in Widigers und Lynams Studie vorhergesagt zeigte sich, dass die Metadimensionen des Big-Five Persönlichkeitskonzeptes in folgender Weise mit einem hohen PRI-Wert korrelieren. „Verträglichkeit" moderat und negativ, „Extraversion" moderat und positiv, „Offenheit für Erfahrung" und „Neurotizismus" nicht, „Gewissenhaftigkeit" negativ und klein (nur bei Frauen) (Miller et al., 2001). Die 30 Subdimensionen des Big-Five Konzeptes wurden ebenfalls mit dem RPI korreliert, hier zeigt sich ein differenzierteres Bild. In der Tabelle „Korrelation zwischen dem RPI und den Persönlichkeitseigenschaften der Big-Five" sind diese genau nachlesbar.
Korrelation zwischen dem RPI und den Persönlichkeitseigenschaften der Big-Five
Persönlichkeitsdimension |
Korrelation RPI-Persönlichkeit Männer |
Korrelation RPI-Persönlichkeit Frauen |
Neurotizismus |
-0,14 |
-0,16 |
Ängstlichkeit |
-0,28** |
-0,36** |
Wut |
0,31** |
0,19* |
Depression |
-0,27** |
-0,26** |
Soziale Befangenheit |
-0,4** |
-0,38** |
Impulsivität |
0,22** |
0,29** |
Verletzlichkeit |
-0,21** |
-0,22** |
Extraversion |
0,38** |
0,34** |
Freundschaftlichkeit |
-0,13 |
-0,12 |
Geselligkeit |
0,28** |
0,23** |
Durchsetzungsvermögen |
0,48** |
0,42** |
Aktivitätsniveau |
0,46** |
0,17** |
Erlebnissuchend |
0,49** |
0,56** |
Fröhlichkeit |
0,10 |
0,08 |
Offenheit für Erfahrung |
-0,03 |
0,15 |
Vorstellungskraft |
-0,03 |
0,15 |
Künstlerisches Interesse |
-0,16 |
0,03 |
Bewusstheit von Emotionen |
-0,08 |
0,01 |
Abenteuerlustigkeit |
0,17 |
0,2* |
Intellektualität |
0,03 |
0,18* |
Liberalität |
0,00 |
0,01 |
Verträglichkeit |
-0,67** |
-0,7** |
Vertrauen |
-0,24** |
-0,29 |
Aufrichtigkeit |
-0,6*** |
-0,65** |
Altruismus |
-0,37** |
-0,4** |
Kooperation |
-0,57** |
-0,57** |
Bescheidenheit |
-0,46** |
-0,52 |
Mitgefühl |
-0,34** |
-0,27** |
Gewissenhaftigkeit |
-0,05 |
-0,29** |
Selbstwirksamkeit |
0,12 |
-0,02 |
Ordnungsbedürfnis |
0,09 |
-0,26** |
Pflichtbewusstsein |
-0,25** |
-0,36** |
Erfolgsstreben |
0,06 |
-0,07 |
Selbstdisziplin |
0,09 |
-0,23** |
Voraussicht |
-0,33** |
-0,41** |
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Signfikianzniveau: *p < 0,1; **p < 0,001
Konvergente und diskriminante Validität
Um die eigenen Ergebnisse zusätzlich abzusichern, wurden weitere Vergleiche gezogen. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von der konvergenten und diskriminanten Validität. Die Validität soll hierbei absichern, dass der Test, also der RPI, misst, was er messen soll. Bei der konvergenten Validität, werden weitere Daten genutzt, die laut Theorie bzw. laut Vorwissen positiv mit dem eigentlichen Zielmaß (RPI) korrelieren. So weiß man, dass ein hoher Zusammenhang zwischen der antisozialen Persönlichkeitsstörung und Psychopathie existiert (Walsh & Wu, 2008). Innerhalb der Längsschnittstudie füllten die Teilnehmer ebenfalls einen Test zur Messung einer antisozialen Störung aus. Die Testergebnisse weisen wie angenommen einen positiven Zusammenhang mit dem RPI auf. Psychopathen leiden darüber hinaus oftmals an einer Drogensucht (Patrick & Brislin, 2014), weshalb auch hier eine positive Korrelation zum RPI vorliegen müsste. Da Substanzmissbrauch das eigentliche Thema der Studie war, wurden zum Drogenkonsum ebenfalls Daten erhoben. Auch hier zeigt sich der erwartete positive Zusammenhang mit dem RPI.
Bei der diskriminanten Validität ist die Funktionsweise der Validierung umgekehrt. Hier sollte laut Theorie bzw. Vorwissen kein positiver, sondern ein negativer Zusammenhang vorliegen. Psychopathen weisen eine geringe Ängstlichkeit auf und empfinden keine Scham. Daher sind Psychopathen von Krankheiten wie die generelle Angststörung, Depressionen oder Sozialphobien nicht betroffen. Je stärker eine Person psychopathische Persönlichkeitszüge aufweist, desto unwahrscheinlicher sollte es also sein, dass die gleiche Person eine der aufgeführten Krankheiten aufweist. Genau dies konnte anhand der Studie gezeigt werden. Somit kann auch mittels der diskriminanten Validität bestätigt werden, dass der RPI Psychopathie misst.