Ist die Persönlichkeit veränderbar?
Kann man seine Persönlichkeit entwickeln?
Bei der Anzahl von Veranstaltungen, Coachings, Seminaren und sonstigen Angeboten, die versprechen, eine Persönlichkeitsentwicklung zu bewirken, scheint außer Frage zu stehen, dass man seine Persönlichkeit entwickeln kann. Die Persönlichkeit wird selbstverständlich als formbares, modifizierbares Element der eigenen Identität verstanden. Ein Glaube, der im angeblichen Zeitalter der Selbstoptimierung viel Anklang findet. Doch kann man die eigene Persönlichkeit einfach so ändern?
Tatsächlich ist in der Persönlichkeitspsychologie die Annahme, dass die Persönlichkeit über das Leben hinweg relativ stabil ist, weit verbreitet. Sie sei weitgehend immun gegenüber Lebensereignisse und auch kein Angebot zur Persönlichkeitsentwicklung führe zu einer signifikanten Änderung. Erst in den letzten Jahren mehren sich die Stimmen innerhalb der wissenschaftlichen Disziplin, dass sich die Persönlichkeit sehr wohl ändert und dass Lebensereignisse Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung nehmen. Es lohnt sich also, einen genaueren Blick auf die Sachlage zu werfen, was wie immer zu einem sehr viel differenzierteren Bild führt.
Einen Punkt allerdings kann bereits vorweggenommen werden. Veranstaltungen zur Persönlichkeitsentwicklung haben sicherlich viele Effekte, die Persönlichkeit zu verändern, jedoch, gehört nicht dazu!
Zusammenfassung
Die Persönlichkeit ändert sich im Laufe des Lebens. Ab einem Alter von 20 Jahren allerdings fallen die Veränderungen nur gering aus. Nur über große Zeiträume (20-30 Jahre) hinweg sind die Änderungen so groß, dass die Effekte praktisch relevant sind. Kurzfristig (10-15 Jahre) ist die Persönlichkeit sehr stabil. Die Persönlichkeit wird von Lebensereignissen beeinflusst. Allerdings sind einzelne Ereignisse sehr einflussschwach. Selbst der Tod des eignen Kindes verändert die Persönlichkeit kaum. Die Veränderung der Persönlichkeit ist bei allen Menschen sehr ähnlich. Wir verändern uns also alle auf sehr ähnliche Weise und in sehr ähnlichen Tempo.
Wie wird Persönlichkeitsentwicklung und Veränderung gemessen?
Die Frage, wie überhaupt Persönlichkeitsveränderungen gemessen werden, scheint banal. Man misst einfach zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkt die Persönlichkeit dergleichen Person. Die Realität fällt jedoch komplexer aus. Bei der Frage nach Veränderung muss die „mean-level“-Stabilität, die „rank-order“-Stabilität und die „intra-individual“ bzw. „individual change“-Stabilität unterschieden werden.
Mean-level-Stabilität
Die „mean-level“-Stabilität bezieht sich auf eine ganze Population. Populationen werden in der Persönlichkeitsforschung in Alter, Geschlecht und Kulturkreis unterschieden. Zu einer Population können zum Beispiel alle Frauen in Deutschland in einem Alter zwischen 20 und 25 Jahren gehören, eine andere Population wird durch Frauen zwischen 25 und 30, 30 und 35, 35 und 40, usw. gebildet.
Bei der „mean-level“ Stabilität wird überprüft, inwiefern sich die Populationen unterscheiden. Es wird also untersucht, inwiefern die durchschnittliche Persönlichkeit der Population 20 bis 25 Jahre von der durchschnittlichen Persönlichkeit der Population 25 bis 30 Jahren usw. abweicht.
Die Vermessung der Persönlichkeitsänderung auf diese Weise hat den großen Vorteil, dass man Studienteilnehmer nicht über Jahrzehnte hinweg begleiten und immer wieder kontaktieren muss. Dies ist neben der Studiendauer, dem Wegfall von Probanden im Laufe der Zeit und den hohen Kosten schon deshalb schwierig, weil das Big Five Persönlichkeitskonzept, der Goldstandard der Persönlichkeitsmessung, erst in den 1990er etabliert wurde. Die Big Five Taxonomie existiert also noch gar nicht lange genug, um die individuellen Änderungen eines gesamten Menschenlebens verfolgen zu können.
Rank-order-Stabilität
Die „rank-order“-Stabilität bezieht sich auf die Persönlichkeit einer Person im Verhältnis zur Persönlichkeit der Menschen, die zur selben Population gehören. Sie misst also, ob sich der Rang der Persönlichkeit innerhalb der Gruppe geändert hat (Specht, Egloff & Schmukle, 2011).
Dies ist deshalb relevant, da die Stärke einer Persönlichkeitsausprägung anhand einer Normstichprobe beziffert wird. Die Persönlichkeit kennt keinen absoluten Nullpunkt und auch keine objektive Maßeinheit. Eine Länge hingegen kann 0 betragen und die Maßeinheit „Meter“ ist überall auf der Erde gleichlang – beides fehlt in der Persönlichkeitsmessung.
Um trotzdem den Ausprägungsgrad einer Persönlichkeitsdimension wie Extraversion einschätzen zu können, wird das Ergebnis eines Persönlichkeitstests (der Rohwert) mit Personen verglichen, die in einem kulturell und zeitlich ähnlichen Umfeld aufgewachsen sind. Wer in einem Persönlichkeitstest den Wert 60% in Extraversion erhält, der hat eine stärkere Ausprägung in dieser Persönlichkeitsdimension als 60% der Normstichprobe.
Daher ist es durchaus relevant, inwiefern sich die eigene Persönlichkeit im Verhältnis zu der eigenen Population verändert hat. Die „rank-order“-Stabilität kann nur berechnet werden, wenn die Persönlichkeit derselben Personen mit zeitlichem Abstand mindestens zwei Mal gemessen wird.
Intra-individual-Stabilität
Die „intra-individual“-Stabilität bezeichnet die tatsächliche Veränderung der Persönlichkeit von einer Person (Cobb-Clark & Schurer, 2012). Diese kann wie die „rank-order“-Stabilität nur erhoben werden, wenn die Persönlichkeit derselben Personen zwei Mal mit zeitlichenm Abstand erhoben wurde.
Es wäre zum Beispiel möglich, dass sich die Persönlichkeit der Menschen einer Population ändert, sich dies allerdings nicht in der „mean-level“-Stabilitätsberechnung bemerkbar macht. Wenn sich die Extraversionsausprägung von 50% einer Population verstärkt, die anderen 50% derselben Population jedoch in Extraversion schwächer werden, so würde sich die durchschnittliche Persönlichkeit (mean-level) der Populationsmitglieder rein rechnerisch nicht verändern.
Das, obwohl sich dich Persönlichkeit von sehr vielen Menschen unterschiedlich verändert hätte. Die „intra-individual“-Stabilität zeigt solche Änderungen auf. Außerdem können so die Auswirkungen von Lebensereignissen wie Jobverlust, Heirat oder Scheidung auf die Persönlichkeit aufgezeigt werden.
Wie ändert sich die Persönlichkeit?
Wie beeinflussen Ereignisse die Persönlichkeit?
Unterschiedliche Studien haben den konkreten Einfluss von Ereignissen auf die Persönlichkeit untersucht. Dafür wurde jeweils innerhalb eines Zeitrahmens von mehreren Jahren zwei Mal die Persönlichkeit erhoben sowie nach dem Auftreten unterschiedlicher Ereignisse innerhalb des Studienzeitraums gefragt (Cobb-Clark & Schurer, 2012; Specht et al., 2011; Stillman & Velamuri, 2020).
Alle Studien weisen eine hohe Teilnehmerzahl von mindestens 7500 Probanden auf und fragten nach Lebensereignisse wie Jobverlust/finanzielle Probleme, Heirat, Scheidung/Trennung, schwerwiegende Krankheit, Tod einer nahestehenden Person, Geburt eines Kindes, Rentenbeginn und teilweise noch weitere wichtige Lebensereignisse. Unter den begutachteten Studien stammt auch eine aus Deutschland mit einer Stichprobengröße von über 14.700 Teilnehmern (Specht et al., 2011).
Die drei Studien kommen zu unterschiedlichen Fazits, jedoch finden sie ähnlichen Signifikanzen und Effektstärken. Tatsächlich weisen alle drei Studien Effekte von Lebensereignissen auf die Persönlichkeit nach. Zahlreiche Lebensereignisse haben also replizierter weise Einfluss auf unsere Persönlichkeit. Darunter alle im letzten Absatz genannten Ereignisse (Jobverlust/finanzielle Probleme, Heirat, Scheidung/Trennung, schwerwiegende Krankheit, Tod einer nahestehenden Person, Geburt eines Kindes, Rentenbeginn).
Zwei der drei Studien kommen daher zum Schluss, dass die Annahme, die Persönlichkeit sei weitgehend unabhängig von Lebensereignissen und über die Zeit konstant falsch ist. Eine der drei Studien hingegen interpretiert die Ergebnisse umgekehrt.
Nun, wie kann es sein, dass Studien mit ähnlichen Ergebnissen zu unterschiedlichen Fazits kommen? Schaut man sich die gefundenen Effektstärken genau an, stellt sich heraus, dass die einzelnen Lebensereignisse zwar die Persönlichkeit beeinflussen, die Effekte allerdings klein bis sehr klein sind. So stellt sich die Frage, ab wann ist ein Effekt stark genug, dass er praktisch relevant wird.
In der Psychologie werden oft nur kleine Effekte gefunden. Vielleicht wird daher der Einfluss von Lebensereignissen als erheblich bewertet – für die psychologische Disziplin sind sie erheblich. Bei der Interpretation der Effekte hilft die Untersuchung der Auswirkungen solcher Persönlichkeitsänderungen. Die Persönlichkeit ist ein guter Prädiktor von Karriereerfolg. Sie steht also im direkten Zusammenhang mit dem Einkommen.
Mehrere negative Lebenserfahrungen, die die einkommensrelevanten Persönlichkeitsdimensionen ungünstig verändern, haben also auch einen Einfluss auf das Einkommen. Cobb-Clark & Schurer, (2012) haben genau diesen Effekt berechnet. Das Ergebnis ist, dass selbst wenn die Persönlichkeit überaus ungünstig von Lebenserfahrungen beeinflusst wird, der zu erwartende Einkommensunterschied aufgrund der Persönlichkeitsänderung bei unter 0,2 Dollar liegt.
Man kann also zwei Dinge klar festhalten. Die Persönlichkeit wird von Ereignissen beeinflusst. Die Einflussstärke eines Lebensereignisses ist jedoch sehr klein und praktisch irrelevant. Aber wie sieht es denn allgemein mit einer Änderung der Persönlichkeit aus, unabhängig von einzelnen Lebensereignissen und über die Lebensspanne hinweg?
Wie ändert sich die Persönlichkeit über die Lebensspanne?
Die Änderung der Persönlichkeit über die Lebensspanne werden mit „mean-level“-Daten berechnet. Es werden also Populationen unterschiedlicher Altersklasse miteinander verglichen. Wir beziehen uns hier vor allem auf zwei Studien aus dem niederländischen und englischen Sprachraum (Schwaba & Bleidorn, 2018; Soto, John, Gosling & Potter, 2011). Letztere besitzt mit einer Stichprobengröße von über 1,2 Millionen Teilnehmern eine enorm große Stichprobengröße.
Beide Studien kommen zu insgesamt ähnlichen Ergebnissen. Die Persönlichkeit unterliegt starken Schwankungen bis zum 20. Lebensjahr. Ab dann stabilisiert sie sich und ändert sich nur noch wenig über die Lebensspanne hinweg.
Soto et al. (2011) finden die stärkste Änderung in der Dimension Gewissenhaftigkeit, welche zwischen dem 20. und 50. Lebensjahr um ca. eine halbe Standardabweichung ansteigt. Auch der Ausprägungsgrad in Verträglichkeit und Offenheit für Erfahrung steigt, allerdings in geringeren Maßen (ca. 30% bis 40% einer Standardabweichung). In der Persönlichkeitsdimension Extraversion findet sich eine sehr kleine Reduktion in dem Zeitraum (ca. 0,05 einer Standardabweichung) und in Neurotizismus eine größere mit ca. 40% einer Standardabweichung. Diese Änderungen über 30 Jahre hinweg entsprechen einem kleinen bis mittelstarken Effekt.
Die Maßeinheit „Standardabweichung“, die hier verwendet wird, stellt eine Standardisierung der berechneten Effekte dar. Diese erlaubt die Effektstärken zu interpretieren, ohne dass man sich intensiv mit den statistischen Ergebnissen der Studie auseinandersetzen muss, was mit den Daten eines Studienpapers auch oft gar nicht möglich ist.
Auch die Studie von Schwaba und Bleidorn (2018) kommt zu insgesamt ähnlichen Ergebnissen. Tatsächlich sind diese Berechnungen nichts Neues. Viele Studien bestätigen die hier vorgestellten Änderungen. Besonders bezüglich der Persönlichkeitsdimensionen Gewissenhaftigkeit, Verträglichkeit und Neurotizismus ist die Faktenlage sehr eindeutig.
Man kann also mit großer Sicherheit sagen, dass sich die Persönlichkeit über die Lebensspanne verändert und diese Veränderung praktisch relevant ist. Aber innerhalb kürzerer Zeiträume (10 bis 15 Jahren) sind die Veränderungen so schwach, dass die praktische Relevanz anzuzweifeln ist. Wer mit 20 Jahren einen Big Five Persönlichkeitstest macht, der wird mit 35 Jahren sehr ähnliche Ergebnisse erhalten. Selbst nach 30 Jahren wird eine Person mit sehr geringen Gewissenhaftigkeitswerten weiterhin geringe Gewissenhaftigkeitswerte aufzeigen. Besonders interessant ist, dass sich die Persönlichkeit aller Mitglieder einer Population auf ähnliche Weise verändert. Dies kann unter Zuhilfenahme der „ranking-order“-Stabilität bewiesen werden.
Verändert sich die Persönlichkeit im Verhältnis zur eigenen Population?
Die „rank-order“-Stabilität misst, ob sich die eigene Persönlichkeit im Verhältnis zu Population geändert hat. Also ob man immer noch den gleichen Rang in seiner Population innehat.
Hier weisen die Daten darauf hin, dass der eigene Rang innerhalb der eigenen Population relativ stabil ist. Zwar beeinflusst das Alter wie stabil (in jungen Jahren weniger), allerdings sind die Korrelationen unabhängig vom Alter stark und zwischen 30 und 70 sogar sehr stark (Specht et al., 2011; Wortman, Lucas & Donnellan, 2012).
Das bedeutet, dass die Änderungen der Persönlichkeit über die Lebensspanne von allen Mitgliedern einer Population in ähnlicher Weise vollzogen wird. Im Verhältnis zu seinen Alters- und Geschlechtsgenossen ändert sich die eigene Persönlichkeit also nur zu geringen Maßen.
Fazit Persönlichkeitsänderung
Die Persönlichkeit ist relativ stabil! Zwar wird sie von Lebensereignissen beeinflusst und in Summe und mit der Zeit verändern diese die Persönlichkeit. Allerdings ist dieser Einfluss nur relevant, wenn Zeiträume von über 20 Jahren betrachtet werden und selbst dann bleiben die ursprünglichen Persönlichkeitstendenzen erhalten.
Einzelne Ereignisse, auch wenn sie einschneidender Natur sind, haben nur sehr geringen Einfluss auf die Persönlichkeit. Darüber hinaus weist die hohe „rank-order“-Stabilität darauf hin, dass die Veränderung der Persönlichkeit über die Zeit bei allen Menschen ähnlich ausfällt.
Dies ist ein Hinweis darauf, dass die meisten Menschen ähnliche Erfahrungen machen, die entsprechend auch auf eine ähnliche Art und Weise die Persönlichkeit beeinflussen. Bedenkt man, dass die meisten Bewohner von westlichen Nationen im Großen und Ganzen ein ähnliches Leben führen (Grundschule, Schule, weiterführende Ausbildung, Arbeit, Partnerschaft, Familie, Rente) verwundert dies nicht.
Bringen also die ganzen Seminare und Coaching gar nichts?
Nun zumindest verändern sie nicht die Persönlichkeit! Ob sie dir trotzdem helfen, ist wohl von Angebot zu Angebot unterschiedlich. Es existiert kein gesetzlich geschützter Coaching-Begriff. Das heißt, auch ohne Qualifikation kann jeder als Coach arbeiten. Entsprechend existieren viele Angebote, die gar nichts bringen.
Die guten Coachings können dir allerdings durchaus helfen. Sie können dir Wege aufzeigen, wie du mit dir am besten umgehen kannst. Sie helfen dir also nicht, deine Persönlichkeit zu ändern (was eh nicht klappt), jedoch wie du dich mit deiner Persönlichkeit am besten arrangierst.
Wer hohe Werte in Neurotizismus hat (emotionale Instabilität), der sollte mehr Aufwand betreiben, um seine Psyche zu schützen. Dazu gehört, sein Leben möglichst gut zu ordnen. Wer sehr extravertiert ist, der sollte bewusst öfter mal Innehalten, die Dinge langsamer angehen, nicht auf jeder Hochzeit tanzen. Der extrem Verträgliche sollte hin und wieder bewusst den Konflikt suchen und üben sich durchzusetzen. Wen eine geringe Gewissenhaftigkeit ausmacht, der sollte seine Bemühungen darauf konzentrieren, zu lernen, langfristig zu denken, zu planen und Disziplin aufzubauen.
Wie wird Persönlichkeitsentwicklung und Veränderung gemessen?
Die Frage, wie überhaupt Persönlichkeitsveränderungen gemessen werden, scheint banal. Man misst einfach zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkt die Persönlichkeit dergleichen Person. Die Realität fällt jedoch komplexer aus. Bei der Frage nach Veränderung muss die „mean-level“-Stabilität, die „rank-order“-Stabilität und die „intra-individual“ bzw. „individual change“-Stabilität unterschieden werden.
Mean-level-Stabilität
Mean-level-Stabilität
Die „mean-level“-Stabilität bezieht sich auf eine ganze Population. Populationen werden in der Persönlichkeitsforschung in Alter, Geschlecht und Kulturkreis unterschieden. Zu einer Population können zum Beispiel alle Frauen in Deutschland in einem Alter zwischen 20 und 25 Jahren gehören, eine andere Population wird durch Frauen zwischen 25 und 30, 30 und 35, 35 und 40, usw. gebildet.
Bei der „mean-level“ Stabilität wird überprüft, inwiefern sich die Populationen unterscheiden. Es wird also untersucht, inwiefern die durchschnittliche Persönlichkeit der Population 20 bis 25 Jahre von der durchschnittlichen Persönlichkeit der Population 25 bis 30 Jahren usw. abweicht.
Die Vermessung der Persönlichkeitsänderung auf diese Weise hat den großen Vorteil, dass man Studienteilnehmer nicht über Jahrzehnte hinweg begleiten und immer wieder kontaktieren muss. Dies ist neben der Studiendauer, dem Wegfall von Probanden im Laufe der Zeit und den hohen Kosten schon deshalb schwierig, weil das Big Five Persönlichkeitskonzept, der Goldstandard der Persönlichkeitsmessung, erst in den 1990er etabliert wurde. Die Big Five Taxonomie existiert also noch gar nicht lange genug, um die individuellen Änderungen eines gesamten Menschenlebens verfolgen zu können.
Rank-order-Stabilität
Rank-order-Stabilität
Die „rank-order“-Stabilität bezieht sich auf die Persönlichkeit einer Person im Verhältnis zur Persönlichkeit der Menschen, die zur selben Population gehören. Sie misst also, ob sich der Rang der Persönlichkeit innerhalb der Gruppe geändert hat (Specht, Egloff & Schmukle, 2011).
Dies ist deshalb relevant, da die Stärke einer Persönlichkeitsausprägung anhand einer Normstichprobe beziffert wird. Die Persönlichkeit kennt keinen absoluten Nullpunkt und auch keine objektive Maßeinheit. Eine Länge hingegen kann 0 betragen und die Maßeinheit „Meter“ ist überall auf der Erde gleichlang – beides fehlt in der Persönlichkeitsmessung.
Um trotzdem den Ausprägungsgrad einer Persönlichkeitsdimension wie Extraversion einschätzen zu können, wird das Ergebnis eines Persönlichkeitstests (der Rohwert) mit Personen verglichen, die in einem kulturell und zeitlich ähnlichen Umfeld aufgewachsen sind. Wer in einem Persönlichkeitstest den Wert 60% in Extraversion erhält, der hat eine stärkere Ausprägung in dieser Persönlichkeitsdimension als 60% der Normstichprobe.
Daher ist es durchaus relevant, inwiefern sich die eigene Persönlichkeit im Verhältnis zu der eigenen Population verändert hat. Die „rank-order“-Stabilität kann nur berechnet werden, wenn die Persönlichkeit derselben Personen mit zeitlichem Abstand mindestens zwei Mal gemessen wird.
Intra-individual-Stabilität
Intra-individual-Stabilität
Die „intra-individual“-Stabilität bezeichnet die tatsächliche Veränderung der Persönlichkeit von einer Person (Cobb-Clark & Schurer, 2012). Diese kann wie die „rank-order“-Stabilität nur erhoben werden, wenn die Persönlichkeit derselben Personen zwei Mal mit zeitlichenm Abstand erhoben wurde.
Es wäre zum Beispiel möglich, dass sich die Persönlichkeit der Menschen einer Population ändert, sich dies allerdings nicht in der „mean-level“-Stabilitätsberechnung bemerkbar macht. Wenn sich die Extraversionsausprägung von 50% einer Population verstärkt, die anderen 50% derselben Population jedoch in Extraversion schwächer werden, so würde sich die durchschnittliche Persönlichkeit (mean-level) der Populationsmitglieder rein rechnerisch nicht verändern.
Das, obwohl sich dich Persönlichkeit von sehr vielen Menschen unterschiedlich verändert hätte. Die „intra-individual“-Stabilität zeigt solche Änderungen auf. Außerdem können so die Auswirkungen von Lebensereignissen wie Jobverlust, Heirat oder Scheidung auf die Persönlichkeit aufgezeigt werden.
Wie ändert sich die Persönlichkeit?
Wie ändert sich die Persönlichkeit?
Wie beeinflussen Ereignisse die Persönlichkeit?
Wie beeinflussen Ereignisse die Persönlichkeit?
Unterschiedliche Studien haben den konkreten Einfluss von Ereignissen auf die Persönlichkeit untersucht. Dafür wurde jeweils innerhalb eines Zeitrahmens von mehreren Jahren zwei Mal die Persönlichkeit erhoben sowie nach dem Auftreten unterschiedlicher Ereignisse innerhalb des Studienzeitraums gefragt (Cobb-Clark & Schurer, 2012; Specht et al., 2011; Stillman & Velamuri, 2020).
Alle Studien weisen eine hohe Teilnehmerzahl von mindestens 7500 Probanden auf und fragten nach Lebensereignisse wie Jobverlust/finanzielle Probleme, Heirat, Scheidung/Trennung, schwerwiegende Krankheit, Tod einer nahestehenden Person, Geburt eines Kindes, Rentenbeginn und teilweise noch weitere wichtige Lebensereignisse. Unter den begutachteten Studien stammt auch eine aus Deutschland mit einer Stichprobengröße von über 14.700 Teilnehmern (Specht et al., 2011).
Die drei Studien kommen zu unterschiedlichen Fazits, jedoch finden sie ähnlichen Signifikanzen und Effektstärken. Tatsächlich weisen alle drei Studien Effekte von Lebensereignissen auf die Persönlichkeit nach. Zahlreiche Lebensereignisse haben also replizierter weise Einfluss auf unsere Persönlichkeit. Darunter alle im letzten Absatz genannten Ereignisse (Jobverlust/finanzielle Probleme, Heirat, Scheidung/Trennung, schwerwiegende Krankheit, Tod einer nahestehenden Person, Geburt eines Kindes, Rentenbeginn).
Zwei der drei Studien kommen daher zum Schluss, dass die Annahme, die Persönlichkeit sei weitgehend unabhängig von Lebensereignissen und über die Zeit konstant falsch ist. Eine der drei Studien hingegen interpretiert die Ergebnisse umgekehrt.
Nun, wie kann es sein, dass Studien mit ähnlichen Ergebnissen zu unterschiedlichen Fazits kommen? Schaut man sich die gefundenen Effektstärken genau an, stellt sich heraus, dass die einzelnen Lebensereignisse zwar die Persönlichkeit beeinflussen, die Effekte allerdings klein bis sehr klein sind. So stellt sich die Frage, ab wann ist ein Effekt stark genug, dass er praktisch relevant wird.
In der Psychologie werden oft nur kleine Effekte gefunden. Vielleicht wird daher der Einfluss von Lebensereignissen als erheblich bewertet – für die psychologische Disziplin sind sie erheblich. Bei der Interpretation der Effekte hilft die Untersuchung der Auswirkungen solcher Persönlichkeitsänderungen. Die Persönlichkeit ist ein guter Prädiktor von Karriereerfolg. Sie steht also im direkten Zusammenhang mit dem Einkommen.
Mehrere negative Lebenserfahrungen, die die einkommensrelevanten Persönlichkeitsdimensionen ungünstig verändern, haben also auch einen Einfluss auf das Einkommen. Cobb-Clark & Schurer, (2012) haben genau diesen Effekt berechnet. Das Ergebnis ist, dass selbst wenn die Persönlichkeit überaus ungünstig von Lebenserfahrungen beeinflusst wird, der zu erwartende Einkommensunterschied aufgrund der Persönlichkeitsänderung bei unter 0,2 Dollar liegt.
Man kann also zwei Dinge klar festhalten. Die Persönlichkeit wird von Ereignissen beeinflusst. Die Einflussstärke eines Lebensereignisses ist jedoch sehr klein und praktisch irrelevant. Aber wie sieht es denn allgemein mit einer Änderung der Persönlichkeit aus, unabhängig von einzelnen Lebensereignissen und über die Lebensspanne hinweg?
Wie ändert sich die Persönlichkeit über die Lebensspanne?
Wie ändert sich die Persönlichkeit über die Lebensspanne?
Die Änderung der Persönlichkeit über die Lebensspanne werden mit „mean-level“-Daten berechnet. Es werden also Populationen unterschiedlicher Altersklasse miteinander verglichen. Wir beziehen uns hier vor allem auf zwei Studien aus dem niederländischen und englischen Sprachraum (Schwaba & Bleidorn, 2018; Soto, John, Gosling & Potter, 2011). Letztere besitzt mit einer Stichprobengröße von über 1,2 Millionen Teilnehmern eine enorm große Stichprobengröße.
Beide Studien kommen zu insgesamt ähnlichen Ergebnissen. Die Persönlichkeit unterliegt starken Schwankungen bis zum 20. Lebensjahr. Ab dann stabilisiert sie sich und ändert sich nur noch wenig über die Lebensspanne hinweg.
Soto et al. (2011) finden die stärkste Änderung in der Dimension Gewissenhaftigkeit, welche zwischen dem 20. und 50. Lebensjahr um ca. eine halbe Standardabweichung ansteigt. Auch der Ausprägungsgrad in Verträglichkeit und Offenheit für Erfahrung steigt, allerdings in geringeren Maßen (ca. 30% bis 40% einer Standardabweichung). In der Persönlichkeitsdimension Extraversion findet sich eine sehr kleine Reduktion in dem Zeitraum (ca. 0,05 einer Standardabweichung) und in Neurotizismus eine größere mit ca. 40% einer Standardabweichung. Diese Änderungen über 30 Jahre hinweg entsprechen einem kleinen bis mittelstarken Effekt.
Die Maßeinheit „Standardabweichung“, die hier verwendet wird, stellt eine Standardisierung der berechneten Effekte dar. Diese erlaubt die Effektstärken zu interpretieren, ohne dass man sich intensiv mit den statistischen Ergebnissen der Studie auseinandersetzen muss, was mit den Daten eines Studienpapers auch oft gar nicht möglich ist.
Auch die Studie von Schwaba und Bleidorn (2018) kommt zu insgesamt ähnlichen Ergebnissen. Tatsächlich sind diese Berechnungen nichts Neues. Viele Studien bestätigen die hier vorgestellten Änderungen. Besonders bezüglich der Persönlichkeitsdimensionen Gewissenhaftigkeit, Verträglichkeit und Neurotizismus ist die Faktenlage sehr eindeutig.
Man kann also mit großer Sicherheit sagen, dass sich die Persönlichkeit über die Lebensspanne verändert und diese Veränderung praktisch relevant ist. Aber innerhalb kürzerer Zeiträume (10 bis 15 Jahren) sind die Veränderungen so schwach, dass die praktische Relevanz anzuzweifeln ist. Wer mit 20 Jahren einen Big Five Persönlichkeitstest macht, der wird mit 35 Jahren sehr ähnliche Ergebnisse erhalten. Selbst nach 30 Jahren wird eine Person mit sehr geringen Gewissenhaftigkeitswerten weiterhin geringe Gewissenhaftigkeitswerte aufzeigen. Besonders interessant ist, dass sich die Persönlichkeit aller Mitglieder einer Population auf ähnliche Weise verändert. Dies kann unter Zuhilfenahme der „ranking-order“-Stabilität bewiesen werden.
Verändert sich die Persönlichkeit im Verhältnis zur eigenen Population?
Verändert sich die Persönlichkeit im Verhältnis zur eigenen Population?
Die „rank-order“-Stabilität misst, ob sich die eigene Persönlichkeit im Verhältnis zu Population geändert hat. Also ob man immer noch den gleichen Rang in seiner Population innehat.
Hier weisen die Daten darauf hin, dass der eigene Rang innerhalb der eigenen Population relativ stabil ist. Zwar beeinflusst das Alter wie stabil (in jungen Jahren weniger), allerdings sind die Korrelationen unabhängig vom Alter stark und zwischen 30 und 70 sogar sehr stark (Specht et al., 2011; Wortman, Lucas & Donnellan, 2012).
Das bedeutet, dass die Änderungen der Persönlichkeit über die Lebensspanne von allen Mitgliedern einer Population in ähnlicher Weise vollzogen wird. Im Verhältnis zu seinen Alters- und Geschlechtsgenossen ändert sich die eigene Persönlichkeit also nur zu geringen Maßen.
Fazit Persönlichkeitsänderung
Fazit Persönlichkeitsänderung
Die Persönlichkeit ist relativ stabil! Zwar wird sie von Lebensereignissen beeinflusst und in Summe und mit der Zeit verändern diese die Persönlichkeit. Allerdings ist dieser Einfluss nur relevant, wenn Zeiträume von über 20 Jahren betrachtet werden und selbst dann bleiben die ursprünglichen Persönlichkeitstendenzen erhalten.
Einzelne Ereignisse, auch wenn sie einschneidender Natur sind, haben nur sehr geringen Einfluss auf die Persönlichkeit. Darüber hinaus weist die hohe „rank-order“-Stabilität darauf hin, dass die Veränderung der Persönlichkeit über die Zeit bei allen Menschen ähnlich ausfällt.
Dies ist ein Hinweis darauf, dass die meisten Menschen ähnliche Erfahrungen machen, die entsprechend auch auf eine ähnliche Art und Weise die Persönlichkeit beeinflussen. Bedenkt man, dass die meisten Bewohner von westlichen Nationen im Großen und Ganzen ein ähnliches Leben führen (Grundschule, Schule, weiterführende Ausbildung, Arbeit, Partnerschaft, Familie, Rente) verwundert dies nicht.
Bringen also die ganzen Seminare und Coaching gar nichts?
Bringen also die ganzen Seminare und Coaching gar nichts?
Nun zumindest verändern sie nicht die Persönlichkeit! Ob sie dir trotzdem helfen, ist wohl von Angebot zu Angebot unterschiedlich. Es existiert kein gesetzlich geschützter Coaching-Begriff. Das heißt, auch ohne Qualifikation kann jeder als Coach arbeiten. Entsprechend existieren viele Angebote, die gar nichts bringen.
Die guten Coachings können dir allerdings durchaus helfen. Sie können dir Wege aufzeigen, wie du mit dir am besten umgehen kannst. Sie helfen dir also nicht, deine Persönlichkeit zu ändern (was eh nicht klappt), jedoch wie du dich mit deiner Persönlichkeit am besten arrangierst.
Wer hohe Werte in Neurotizismus hat (emotionale Instabilität), der sollte mehr Aufwand betreiben, um seine Psyche zu schützen. Dazu gehört, sein Leben möglichst gut zu ordnen. Wer sehr extravertiert ist, der sollte bewusst öfter mal Innehalten, die Dinge langsamer angehen, nicht auf jeder Hochzeit tanzen. Der extrem Verträgliche sollte hin und wieder bewusst den Konflikt suchen und üben sich durchzusetzen. Wen eine geringe Gewissenhaftigkeit ausmacht, der sollte seine Bemühungen darauf konzentrieren, zu lernen, langfristig zu denken, zu planen und Disziplin aufzubauen.
Literaturverzeichnis
Literaturverzeichnis
Cobb-Clark, D. A. & Schurer, S. (2012). The stability of big-five personality traits. Economics Letters, 115 (1), 11–15.
Schwaba, T. & Bleidorn, W. (2018). Individual differences in personality change across the adult life span. Journal of personality, 86 (3), 450–464.
Soto, C. J., John, O. P., Gosling, S. D. & Potter, J. (2011). Age differences in personality traits from 10 to 65. Big Five domains and facets in a large cross-sectional sample. Journal of Personality and Social Psychology, 100 (2), 330.
Specht, J., Egloff, B. & Schmukle, S. C. (2011). Stability and change of personality across the life course. The impact of age and major life events on mean-level and rank-order stability of the Big Five. Journal of Personality and Social Psychology, 101 (4), 862.
Stillman, S. & Velamuri, M. (2020). Are Personality Traits Really Fixed and Does It Matter? Institute of Labor Economics (IZA).
Wortman, J., Lucas, R. E. & Donnellan, M. B. (2012). Stability and change in the Big Five personality domains. Evidence from a longitudinal study of Australians. Psychology and aging, 27 (4), 867.