Studienblog

Geschlechterunterschiede

Teil 1

Respond

Die Frau stammt von der Venus, der Mann vom Mars. So unterschiedlich seien die Geschlechter. Dessen ist man sich seit Menschengedenken, oder zumindest seit der Antike, sicher. Auch heute verkauft sich die These der großen Geschlechtsunterschiede gut. Zahlreiche Ratgeber erklären, dass sich Mann und Frau prinzipiell unterscheiden und geben Tipps, wie man das andere Geschlecht verstehen lernt.

An dieser Stelle wollten wir eigentlich ein Beispiel aus der Hirnforschung anbringen, welches den Glauben an der grundlegenden Unterschiedlichkeit zwischen den Geschlechtern kontrastiert und dann auf geschlechtsspezifische Unterschiede in der Persönlichkeit eingehen. Aber dann fiel uns etwas auf, dem wir nachgehen mussten.

Es existiert nämlich der schöne Befund, dass selbst Gehirnexperten Frauen und Männergehirne nicht unterscheiden können. Diese Forschungsarbeit hatten wir auf Spiegel Online kennengelernt. Am Ende des Artikels gibt es allerdings einen Hinweis auf eine Forschungsarbeit von Ingalhalikar et al. (2014), die zum Schluss kam, dass Männer- und Frauengehirne grundsätzlich anders „verdrahtet“ sind und betont somit die Unterschiedlichkeit von Männer- und Frauenhirnen. Der Letzte Absatz des Artikels konterkariert also die zentrale Aussage desselben. Sollte unsere Annahme, dass die Hirnforschung der großen Geschlechterunterschiedlichkeit widerspricht, falsch sein? Könnte es sein, dass Frauen- und Männerhirne zwar gleich aussehen, aber unterschiedlich funktionieren/verdrahtet sind?

Also beschlossen wir, erst im nächsten Beitrag über Geschlechtsunterschied in der Persönlichkeit zu schreiben und in diesem Beitrag die angeblich unterschiedliche Verdrahtung zwischen Männer- und Frauenhirnen anzuschauen.

Die besage Studie über wurde 2014 von Ingalhalikar et al. veröffentlicht. Die Studie weist eine vor allem für die neurologische Forschung überaus beeindruckend große Stichprobengröße von 945 Probanden auf. Auf den ersten Blick erscheint sie ordentlich gearbeitet.

Auf den zweiten Blick fallen allerdings zwei Probleme mit der Studie auf. Erstens werden keine Effektstärken berichtet. Es könnte schließlich sein, dass dieser Unterschied so klein ist, dass er keine praktisch relevanten Folgen hat. Aus dem Forschungspapier ist dazu nichts entnehmbar. Zweitens wird die Gehirngröße als relevanter Faktor nicht berücksichtigt.

Dabei ist schon seit den 90er-Jahren bekannt, dass sich mit der Gehirngröße die Konnektivität im Gehirn ändert. Kleine Gehirne sind besser verdrahtet als große Gehirne. Dies ist darauf zurückzuführen, so die Vermutung, dass in großen Gehirnen der Weg zwischen den Zellen größer ist. Ist der Weg allerdings zu lang, lohnt sich die Verdrahtung der betroffenen Regionen wenig, da die Informationsweiterleitung zu lange dauert. Daher verdrahten sich große Gehirne nicht so stark wie kleine Gehirne (Im et al., 2008; Ringo, 1991).

An dieser Stelle ein kleiner Hinweis. Manchmal heißt es, dass große Gehirne mehr graue Hirnsubstanz haben, was schnell als „mehr Nervenzellen“ missverstanden wird. Tatsächlich haben große Gehirne nicht mehr Nervenzellen als kleine Gehirne. Die Anzahl an Zellen bleibt relativ Konstant und ist unabhängig von der Gehirngröße. Nur das Volumen der Zellkörper aka der grauen Substanz nimmt zu. (Schüz & Sultan, 2009).

Zurück zur Studie von Ingalhalikar et al. (2014), welche die unterschiedliche Verdrahtung innerhalb von Frauen- und Männergehirnen belegen soll. Unsere kurze Recherche zeigt, dass Ingalhalikar et al. (2014) Studie erhebliche konzeptionelle Schwächen aufweist, da sie die Gehirngröße nicht als relevanten Faktor berücksichtigt.

Die Schwächen sind natürlich nicht nur uns aufgefallen. Wir fanden nämlich auch ein Forschungspapier von Hänggi, Fövenyi, Liem, Meyer und Jäncke (2014), welches im gleichen Jahr erschienen ist, direkten Bezug zu Ingalhalikar et al. (2014) nimmt und im Gegensatz zu deren Studie die Gehirngröße als relevanten Einfluss berücksichtigt. Hänggi et al. (2014) widersprechen Ingalhalikar et al. (2014), dass das Geschlecht der ausschlaggebende Faktor ist, welcher die Konnektivität im Gehirn beeinflusst und replizieren bisherige Forschungsergebnisse. Sie machen also in ihrer Studie die Gehirngröße als Faktor aus, der bestimmt, wie gut unser Gehirn verdrahtet ist – nicht das Geschlecht!

Diese Forschungsergebnisse besitzen weitreichende Bedeutung. Denn mit der unterschiedlichen Konnektivität von Männer- und Frauenhirnen werden gerne angebliche Unterschiede in der Befähigung der Geschlechter begründet (FAZ, Welt). Der Mann, so heißt es, sei aufgrund stärker lokal vernetzter Nervenzellen besser in der Lage dazu, mathematische Rätsel zu lösen.

Nun gehen wir man einmal davon aus, dass die Art der Vernetzung tatsächlich bestimmt, wie gut man mathematische Rätsel lösen kann. Das könnte tatsächlich sein. Letztendlich ist nicht bekannt, warum manchen Menschen Mathe liegt und andere nicht. Was wir allerdings wissen, ist, dass die Vernetzung im Gehirn auf die Gehirngröße zurückzuführen ist. Die Gehirngröße wiederum nimmt mit der Körpergröße zu. Große Menschen mit ihren großen Gehirnen wären somit die Besten im Lösen von mathematischen Rätseln.

In unserer Gesellschaft wären also tatsächlich Männer besser in Mathe, da sie größer sind. Das Ganze bedeutet allerdings ebenso, dass indische Männer schlechter in Mathe sind als deutsche Frauen. Die sind nämlich im Durchschnitt größer als indische Männer. Lettische Frauen, die durchschnittlich größten Frauen der Welt, wären wiederum besser in Mathe als deutsche Frauen und außerdem besser als mexikanische Männer.

Dieses kleine Beispiel soll zeigen, wie unwahrscheinlich die Annahme ist, dass die Gehirngröße bzw. Gehirnkonnektivität die spezifische Befähigung von Menschen bestimmt.

Außerdem darf eines nicht vergessen werde, Menschen mit großen Gehirnen weisen nur deshalb eine andere Konnektivität auf als Menschen mit kleinen Gehirnen, weil ihr Gehirn zu groß ist, um es genauso gut zu vernetzen wie Menschen mit kleinen Gehirnen. Das bedeutet allerdings auch, dass kleine Gehirne sich lokal durchaus genauso stark vernetzen könnten wie große Gehirne, nur müssen sie das nicht.

Literaturverzeichnis

Hänggi, J., Fövenyi, L., Liem, F., Meyer, M. & Jäncke, L. (2014). The hypothesis of neuronal interconnectivity as a function of brain size—a general organization principle of the human connectome. Frontiers in human neuroscience, 8, 915.

Im, K., Lee, J.-M., Lyttelton, O., Kim, S. H., Evans, A. C. & Kim, S. I. (2008). Brain size and cortical structure in the adult human brain. Cerebral cortex, 18 (9), 2181–2191.

Ingalhalikar, M., Smith, A., Parker, D., Satterthwaite, T. D., Elliott, M. A., Ruparel, K. et al. (2014). Sex differences in the structural connectome of the human brain. Proceedings of the National Academy of Sciences, 111 (2), 823–828.

Ringo, J. L. (1991). Neuronal interconnection as a function of brain size. Brain, Behavior and Evolution, 38 (1), 1–6.

Schüz, A. & Sultan, F. (2009). Brain connectivity and brain size. Encyclopedia of neuroscience, 2, 317–326.