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Sind Persönlichkeitstests im Gesundheitskontext sinnvoll?

Teil 1

Respond

Manche Menschen sind oft krank, während andere in der Regel gesund bleiben. Ein Grund hierfür könnten Verhaltenstendenzen sein. Eine Verhaltenstendenz könnte zum Beispiel sein, gesundheitsfördernde Ziele, wie mehr Sport zu treiben (Lampert, Mensink, & Ziese, 2005), ausdauernd zu verfolge. Ein Unterschied zwischen denjenigen, die dann auch wirklich konsequent Sport treiben und denen, die schnell wieder aufgeben oder gar nicht erst anfangen, könnte die Verhaltenstendenz sein, Ziele konsequent zu verfolgen. Konstante Verhaltenstendenzen wie diese werden in der Psychologie unter dem Begriff „Persönlichkeit“ zusammengefasst und in Persönlichkeitstests gemessen. Die Persönlichkeit könnte entsprechend entscheidenden Einfluss auf die Gesundheit nehmen. Diese Idee wollen wir hier in zwei Blogbeiträgen besprechen. Im ersten Teil wird es darum gehen, ob ein statistischer Zusammenhang zwischen dem gesundheitlichen Zustand und den Ergebnissen von Persönlichkeitstests existiert. Im zweiten Teil werden wir schließlich darauf eingehen, inwiefern ein kausaler Zusammenhang zwischen beiden bestehen könnte.

Zusammenfassung

Es existiert ein breites Forschungsspektrum, welches einen Zusammenhang zwischen der Persönlichkeitsdimension „Gewissenhaftigkeit“ und dem gesundheitlichen Zustand nahelegt (Goodwin & Friedman, 2006). Diese Zusammenhänge sind zwar in der Regel klein bis sehr klein (kleinster signifikanter Zusammenhang: Geschwüre unterschiedlicher Art r= 0,037; stärkster signifikanter Zusammenhang: Alkohol/Substanzmissbrauch r= 0,137), allerdings konnte für 15 psychische und physiologische/körperliche Erkrankungen ein signifikanter Zusammenhang gefunden werden (Goodwin & Friedman, 2006). Eine weitere Persönlichkeitsdimension scheint in einem umfassenderen Zusammenhang zur Gesundheit zu stehen – „Neurotizismus“. Auch wenn die Forschungslage hier weniger breit ist, konnte bereits in vielen Studien die Relevanz der Persönlichkeitsdimension insbesondere für psychische Erkrankungen wie Depression nachgewiesen werden (Goodwin & Friedman, 2006; Rauthmann, 2016). Hier wurden kleine bis mittelstarke Zusammenhänge gefunden (Zusammenhangsmaß bezüglich Depression zu „Neurotizismus“: r= 0,267). Zu körperlichen Erkrankungen konnten allerdings nur signifikante Zusammenhangmaße zwischen r= 0,038 (Leistenbruch) und r= 0,114 (Rückenproblematiken wie Ischias und Hexenschuss) gefunden werden. Trotzdem weist auch „Neurotizismus“ signifikante Zusammenhänge mit insgesamt 13 psychischen und physiologischen/körperlichen Erkrankungen auf (Goodwin & Friedman, 2006).

Persönlichkeit und Gesundheit - Hauptstudie

Unter den vielen Untersuchungen, die die Ergebnisse von Persönlichkeitstests in den Zusammenhang mit der Gesundheit der untersuchten Personen gestellt haben, sticht die Studie von Goodwin und Friedman (2006) heraus, da sie eine große repräsentative Stichprobe zur Verfügung hatten. Sie hatten Zugang zu den Daten der „Midlife Development in the United States Survey“ (MIDUS). Hierbei wurden 3032 Personen im Alter von 25-74 Jahren aus 48 Bundesstaaten der USA ausführlich befragt (Goodwin & Friedman, 2006). Neben einem ausführlichen Telefoninterview wurde von den Teilnehmern auch mehrere Fragebögen ausgefüllt. Es wurde außerdem nach der gesundheitlichen Situation der Teilnehmer in den letzten zwölf Monaten gefragt und insgesamt 17 Krankheitsbilder abgefragt von denen 3 psychischer Natur und 14 körperlicher Natur waren. Außerdem wurde nach unterschiedlichen Mobilitätseinschränkungen bei denjenigen gefragt, die an einer körperlichen Krankheit längerfristig leiden. Darüber hinaus wurde natürlich auch ein Persönlichkeitstest durchgeführt, der die Big-Five Persönlichkeitsdimensionen misst (Goodwin & Friedman, 2006). Verglichen wurde schließlich die Persönlichkeit von gesunden Probanden mit der Persönlichkeit von erkrankten Probanden. Damit lagen den Forschern umfassende Daten über die Gesundheit und Persönlichkeit einer großen repräsentativen Stichprobe vor

Persönlichkeitstestung im Kontext Gesundheit - Gewissenhaftigkeit

„Gewissenhaftigkeit“ korreliert mit 15 der 17 erfassten Krankheitsbilder signifikant (siehe Tabelle). Gesunde Probanden sind also signifikant „gewissenhafter“ als erkranke Probanden Die Zusammenhänge sind hierbei allerdings schwach. Trotzdem würde eine erhöhte Ausprägung dieser Persönlichkeitsdimension, den Daten folgend, eine geringere Wahrscheinlichkeit ergeben, an den angeführten Krankheiten zu leiden. Ein entsprechender Persönlichkeitstest sowie darauf folgend Trainings zur Erhöhung dieser Dimensionsausprägung würden also bezüglich nur eines der Krankheitsbilder keine große Wirkung haben, dafür allerdings eine kleine Wirkung auf viele verschiedene Krankheitsbilder. Auffallend ist bei dieser Persönlichkeitsdimension, dass sie im Gegenteil zur Dimension „Neurotizismus“, welche ebenfalls im signifikanten Zusammenhang mit vielen Krankheitsbildern steht, nur zu geringen Maßen mit den drei gemessenen psychischen Erkrankungen korreliert. Verhältnismäßig stärkere Zusammenhänge konnten stattdessen mit Alkohol- bzw. Substanzmissbrauch, Zigarettenkonsum und Diabetes gefunden werden. Alkohol/Substanzmissbrauch und Zigarettenkonsum wurde hierbei anscheinend als Suchterkrankung bewertet und in Alkohol-/Substanz- und Zigarettensucht differenziert. Gemeinsam haben die drei Erkrankungen, dass sie direkt durch die übermäßige Einnahme bestimmter Stoffe erzeugt werden. So kann auch Diabetes als Typ 2 durch einen zu starken Konsum von Zucker bzw. zuckerhaltigen Lebensmittel bewirkt werden. Zwischen konsumbedingten Erkrankungen und „Gewissenhaftigkeit“ scheint also ein im Verhältnis besonders starker Zusammenhang zu bestehen (r= 0,078 bis r= 0,137). Ebenfalls stärkere Zusammenhänge bestehen zwischen „Gewissenhaftigkeit“ und chronischen Hautproblemen (r= 0,063), Hernie (z.B. Eingeweide-/Hirnbruch; r= 0,074) und Tuberkulose (r= 0,063 bis r= 0,084). Auch bezüglich der Mobilität Erkrankter Probanden weist „Gewissenhaftigkeit“ die stärksten Korrelationen auf. Besonders „Treppensteigen“ steht mit der Dimension in einem verhältnismäßig ausgeprägten Zusammenhang. Hier konnte eine mittelstarke Korrelation von r= 0,305 berechnet werden (Goodwin & Friedman, 2006). Die anderen Mobilitätsfaktoren weisen zwar einen schwächeren Zusammenhang auf, allerdings sind auch diese herausragend stark, betrachtet man die anderen Persönlichkeitsdimensionen zum Vergleich (siehe Tabelle).

Zusammenhang zwischen "Gewissenhaftigkeit" und Krankheitsbilder

Krankheitsbild Gewissenhaftigkeit: Gesunde vs. kranke Person (in r)
Alkohol-/Substanzmissbrauch 0,137
Zigarettenkonsum 0,089
Diabetes 0,078
Depression 0,08
Tuberkulose 0,084
Hernie(Bruch) 0,074
Chronische Hautbeschwerden 0,063
Knochen-/Gelenkbeschwerden 0,05

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Zusammenhang zwischen "Gewissenhaftigkeit" und Mobilität

Mobilitätsfaktor Gewissenhaftigkeitsausprägung (in r)
Treppensteigen 0,305
Laufen einer moderaten Strecke 0,237
Moderate körperliche Aktivität 0,205
Baden und Anziehen 0,167

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Persönlichkeitstestung im Kontext Gesundheit - Neurotizismus

Neurotizismus steht im Zusammenhang mit unterschiedlichen psychischen Erkrankungen. Das heißt, Personen mit hohen Ausprägungen auf dieser Persönlichkeitsdimension leiden häufiger an den untersuchten Krankheitsbildern. Dies wurde bereits in verschiedenen Studien bestätigt (Rauthmann, 2016) und auch bei der Studie von Goodwin und Friedman (2006) korrelieren die untersuchten psychischen Erkrankungen am stärksten mit der Persönlichkeitsdimension „Neurotizismus“. Bei ihrer Untersuchung handelt es sich sogar um die stärkste Korrelation einer durch einen Persönlichkeitstest gemessenen Dimension mit einem Krankheitsbild („Neurotizismus“ zu Depression r= 0,267). Besonders nennenswert ist außerdem der gemessene Zusammenhang mit Ischiasproblemen bzw. Hexenschüssen und Geschwürerkrankungen mit jeweils einem kleinen Effekt (r ist größer oder gleich 0,01). Dank der Messungen mithilfe von Persönlichkeitstests konnte festgestellt werden, dass „Neurotizismus“ mit 13 der 17 überprüften Krankheitsbildern signifikant korreliert. Somit ist die Zusammenhangshäufigkeit dieser Dimension fast ebenwürdig mit „Gewissenhaftigkeit“. Auch zwischen „Neurotizismus“ und drei der vier Mobilitätsfaktoren konnten signifikante Zusammenhänge gefunden werden (Goodwin & Friedman, 2006). Wenn sie die Tabelle (unten) zu diesen Daten betrachten, fällt ihnen vielleicht das Minuszeichen vor den Kennzahlen auf. Dies bedeutet lediglich, dass eine erhöhte neurotizistische Ausprägung mit einer Minderung der Mobilität einhergeht. Dies ist vor allem bei „Moderater körperlicher Aktivität“ (r= -0,136) und „Laufen einer moderaten Entfernung“ (r= -0,129) der Fall.

Zusammenhang zwischen "Neurotizismus" und Krankheitsbilder

Krankheitsbild Neurotizismus: Gesunde vs. kranke Person (in r)
Depression 0,267
Allgemeinse Angststörung 0,232
Pantikattacken 0,210
Ischias/Hexenschuss 0,114
Geschwürerkrankung 0,100
Blasenbeschwerden 0,087
Zigarettenkonsum 0,058
Alkohol-/Substanzmissbrauch 0,05

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Zusammenhang zwischen "Neurotizismus" und Mobilität

Mobilitätsfaktor Neurotizismusausprägung (in r)
Treppensteigen -0,104
Laufen einer moderaten Strecke -0,104
Moderate körperliche Aktivität -0,136
Baden und Anziehen -0,044

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Persönlichkeitstestung im Kontext Gesundheit – die restlichen Dimensionen

Wir fassen hier die restlichen Persönlichkeitsdimensionen zusammen, da diese nur zu geringen Maßen mit den gesundheitlichen Kenndaten korrelieren.

„Extraversion“ korreliert mit 9 der 17 Krankheitsbilder signifikant. Die Korrelationen sind allerdings nochmals kleiner als es bereits bei „Gewissenhaftigkeit“ und „Neurotizismus“ der Fall gewesen ist. Herausstechen tuen noch die Zusammenhänge mit „Depression“ (r= 0,082) und „Tuberkulose“ (r=0,072). Die Persönlichkeitstests ergaben hingegen bezüglich der Mobilitätsfaktoren stärkere Zusammenhänge. „Treppensteigen“ und „Laufen einer moderaten Entfernung“ korrelieren hier mit r= 0,176 und r= 0,152 am stärksten.

„Offenheit für Erfahrung“ weist nur zu 8 der 17 Krankheitsbilder signifikante Korrelationen auf. Erwähnenswert sind hierbei nur die Zusammenhänge mit Bluthochdruck (r= 0,08) und Kochen/Gelenkproblemen (r= 0,071). Bei den Mobilitätsfaktoren konnten zwei relevantere Zusammenhänge gefunden werden, die jedoch ebenfalls schwach ausfallen („Treppenlaufen“ r= 0,141, „Laufen einer moderaten Entfernung“ r= 0,119)

„Verträglichkeit“ korreliert nur mit 6 der 17 Krankheitsbilder signifikant und nur der Zusammenhang mit Tuberkulose ist etwas stärker mit r= 0,092. Auch bei den Mobilitätsfaktoren sieht es bei dieser Dimension eher mau aus. Keine Korrelation erreicht auch nur annähernd die Kennmarke für einen kleinen Zusammenhang (r= 0,1). Damit lohnt sich ein Persönlichkeitstest im Zusammenhang Gesundheit für die Dimension „Verträglichkeit“ am wenigsten.

Zusammenhang zwischen "Extraversion", "Offenheit für Erfahrung" und "Verträglichkeit" mit Krankheitsbilder

Krankheitsbild Extraversion: Gesunde vs. kranke Person (in r) Offenheit für Erfahrung: Gesunde vs. kranke Person (in r) Verträglichkeit: Gesunde vs. kranke Person (in r)
Depression 0,082 0,007 0,021
Tuberkolose 0,072 0,060 0,092
Bluthochdruck 0,056 0,080 0,050
Knochen-/Gelenkbeschwerden 0,025 0,071 0,039
Alkohol-/Substanzmissbrauch 0,029 0,019 0,067

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Zusammenhang zwischen "Extraversion", "Offenheit für Erfahrung" und "Verträglichkeit" mit Mobilität

Mobilitätsfaktor Ausprägung - Extraversion(in r) Ausprägung - Offenheit für Erfahrung(in r) Ausprägung - Verträglichkeit(in r)
Treppensteigen 0,176 0,141 0,027
Laufen einer moderaten Strecke 0,152 0,119 0,040
Moderate körperliche Aktivität 0,106 0,051 0,021
Baden und Anziehen 0,068 0,066 0,061

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Einschränkungen der Daten von Persönlichkeitstests

Auch, wenn stets darauf hingewiesen wurde, dass die Zusammenhänge zwischen den Persönlichkeitsdimensionen und einiger Krankheitsbilder sehr schwach sind, mag den ein oder anderen vielleicht irritieren, dass trotzdem so viele Zusammenhänge signifikant sind. Dies ist auf die vielleicht etwas paradox erscheinende mathematische Gesetzmäßigkeit zurückzuführen, dass bei einer zu großen Stichprobe auch kleinste Zusammenhänge bereits signifikant werden. Auch wenn die gefundenen Zusammenhänge eigentlich nicht auf die Population verallgemeinert werden sollten. Man spricht hier auch vom Alpha-Fehler: Eine Verallgemeinerung auf die Population wird fälschlicherweise angenommen (Sedlmeier & Renkewitz, 2011). Dies ist auf die Art der Signifikanzberechnungen zurückzuführen und ein Grund für die Kritik an der Signifikanztestung. Falls sie die Diskussion rund um die Signifikanz interessiert, stöbern sie einfach durch unseren Studienblog. Wir werden in kürze eine Beitrag zu dieser Thematik veröffentlichen.

Fazit: Lohnen sich Persönlichkeitstest im Gesundheitskontext?

Diese Frage ist in Bezug auf die Dimensionen „Gewissenhaftigkeit“ und „Neurotizismus“ zu bejahen. Bei den restlichen Dimensionen würde sich ein Persönlichkeitstest nicht auszahlen. Die besondere Möglichkeit, die sich mit Hilfe eines Persönlichkeitstests bietet, ist die allgemeine Verbesserung des Gesundheitszustandes eines Patienten. Eine Person könnte zum Beispiel sehr regelmäßig an unterschiedlichen Erkrankungen leiden. Sollte sich ein ungünstiges Persönlichkeitsprofil ergeben, könnten bisher eher untypische Maßnahmen zu einer allgemeinen Verbesserung des Gesundheitszustanden führen. Der Effekt darf sicherlich nicht überschätzt werden, mit relativ hoher Sicherheit kann jedoch davon ausgegangen werden, dass sich eine Verbesserung einstellen wird. Um welche Maßnahmen es sich hier handeln könnte, wird im nächsten Blogbeitrag angesprochen.

Literaturverzeichnis

Cohen, J. (1992). A power primer. Psychological Bulletin, 112(1), 155.

Field, A., Miles, J., & Field, Z. (2013). Discovering statistics using R (Reprint). Los Angeles, Calif.: Sage.

Goodwin, R. D., & Friedman, H. S. (2006). Health status and the five-factor personality traits in a nationally representative sample. Journal of Health Psychology, 11(5), 643–654.

Lampert, T., Mensink, G. B. M., & Ziese, T. (2005). Sport und Gesundheit bei Erwachsenen in Deutschland. Bundesgesundheitsblatt-Gesundheitsforschung-Gesundheitsschutz, 48(12), 1357–1364.

Rauthmann, J. F. (2016). Grundlagen der Differentiellen und Persönlichkeitspsychologie: Eine Übersicht für Psychologie-Studierende (1. Auflage). essentials. Wiesbaden: Springer. Retrieved from http://search.ebscohost.com/login.aspx?direct=true&scope=site&db=nlebk&AN=1071176

Sedlmeier, P., & Renkewitz, F. (2011). Forschungsmethoden und Statistik in der Psychologie ([Nachdr.]). PS Psychologie. München: Pearson Studium.