Studienblog

Sind Persönlichkeitstests im Gesundheitskontext sinnvoll?

Teil 2

Respond

Im ersten Teil dieses Blogbeitrages (für den ersten Teil hier klicken) ging es um die Frage, ob statistische Zusammenhänge zwischen der Persönlichkeit und der Gesundheit bestehen. Im ersten Teil dieses Blogbeitrages ging es um die Frage, ob statistische Zusammenhänge zwischen der Persönlichkeit und der Gesundheit bestehen. Wir waren zum Schluss gekommen, dass dies bei einigen Krankheitsbildern der Fall ist. Daher betrachten wir den Einsatz von Persönlichkeitstests und darauf aufbauende Interventionen als durchaus sinnvoll für das Gesundheitswesen. Nun stellt sich allerdings die Frage, warum existieren diese Zusammenhänge. Eine potenzielle Antwort bezieht sich hierbei auf das Gesundheitsverhalten. Also Verhalten, welches der Gesundheit zuträglich ist. Hier ergibt sich jedoch eine Überraschung. Von den Erkenntnissen des ersten Blogteils ausgehend, würde man vermuten, dass die Persönlichkeitsdimensionen „Gewissenhaftigkeit“ und „Neurotizismus“ auch hierbei entscheidend sind. Dies ist jedoch nur zum Teil korrekt. Die bisherigen Studien weisen darauf hin, dass sich zwar „Gewissenhaftigkeit“ zur Vorhersage von Gesundheitsverhalten gut eignet.Für „Neurotizismus“ ist dies jedoch nicht der Fall. Stattdessen schiebt sich „Verträglichkeit“ klammheimlich ins Rampenlicht.

Zusammenfassung

Persönlichkeit und Gesundheitsverhalten sind hoch korreliert. Ein Persönlichkeitstest, der alle fünf Dimensionen der Big-Five-Taxanomie misst, korreliert mit r= 0,63 mit dem beobachteten Gesundheitsverhalten ( Korrelation schnell erklärt). Dies entspricht einer Varianzaufklärung von fast 40%. In einer multiplen Regressionsanalyse (Regression schnell erklärt) sticht wie so oft die Dimension „Gewissenhaftigkeit“ hervor, welche den stärksten Haupteffekt von b= 0,412 (gemessen in Standardabweichungen bezüglich der Persönlichkeitsdimension sowie der Gesundheitsskala) auf das Gesundheitsverhalten aufweist. Neben „Gewissenhaftigkeit“ ist „Verträglichkeit“ eine weitere Persönlichkeitsdimension, die substanziell das Gesundheitsverhalten beeinflusst. Hier konnte der zweitstärkste Effekt b= 0,311 gemessen werden. Die restlichen Persönlichkeitsdimensionen des Big-Five-Konzeptes weisen nur sehr kleine Haupteffekte auf gesundheitsförderliches Verhalten auf, wobei „Extraversion“ mit 0,076 den noch größten Effekt zeigt. Über die Haupteffekte hinaus wurden außerdem drei relevante Interaktionseffekte gefunden Die hier vorgetragenen Daten beziehen sich zwar ausschließlich auf die Untersuchung von Ingledew and Brunning (1999), allerdings finden sich in der Literatur ähnliche Ergebnisse (Booth‐Kewley & Vickers Jr, 1994).

Persönlichkeitstests zur Vorhersage von Gesundheitsverhalten: Gewissenhaftigkeit

Wie auch bei der Vorhersage von Krankheitsbildern, ist die Persönlichkeitsdimension „Gewissenhaftigkeit“ der bedeutendste Faktor zur Prädiktion von Gesundheitsverhalten. Er weist den stärksten Haupteffekt auf mit b= 0,412. Es ist leider etwas schwierig aus den existierenden Forschungsberichten ein konkretes Beispiel abzuleiten. Hier ein Versuch: Man stelle sich eine Person A vor, die laut Persönlichkeitstest durchschnittlich „gewissenhaft“ ist und ein durchschnittlich gutes Gesundheitsverhalten aufweist. Nun kommt die Person B hinzu. Diese jedoch ist, wie ein Persönlichkeitstest ergeben hat, um eine Standardabweichung „gewissenhafter“ als Person A. Damit gehört Person B zu den 16% der Stichprobe, die am „gewissenhaftesten“ sind. Das Regressionsmodell würde bei einer solchen „Gewissenhaftigkeit“ vorhersagen, dass Person B um 2/5 (b= 0,412) einer Standardabweichung gesünderes Verhalten aufweist als Person A. In unserem Beispiel würde das bedeuten, dass Person B zu den ca. 36% der Stichprobe gehört, die das beste Gesundheitsverhalten aufweist (es handelt sich hierbei um einen Annäherungswert). Anders herum kann man auch sagen, dass 64% der Stichprobe ein schlechteres Gesundheitsverhalten aufweist. Zu diesen 64% gehört auch unsere Person A. Im direkten Vergleich unserer beiden Personen findet man 14% der gesamten Stichprobe, die ein besseres Gesundheitsverhalten zeigen als Person A, jedoch ein schlechteres als Person B.
Ich hoffe man kann diesem Beispiel entnehmen, dass der Effekt bedingt durch „Gewissenhaftigkeit“ eindrucksvoll ist und dass ein Persönlichkeitstest zu dieser Dimension bereits helfen kann, dass Gesundheitsverhalten einer Person zu bestimmen.

Persönlichkeitstests zur Vorhersage von Gesundheitsverhalten: Interaktion zwischen Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit

Wie im vorherigen Punkt beschrieben zeigt Gewissenhaftigkeit einen erstaunlichen Haupteffekt auf das Gesundheitsverhalten. Das Regressionsmodell zeigt allerdings, dass unter bestimmten Bedingungen ein noch stärkerer Effekt berechnet werden kann. Dies ist der Fall, wenn ein Persönlichkeitstest zeigt, dass eine Person eine starke Ausprägung in den Persönlichkeitsdimensionen „Gewissenhaftigkeit“ und „Verträglichkeit“ aufweist. Man spricht hier auch von einem Interaktionseffekt, da die Wirkung von zwei oder mehr Faktoren sich gegenseitig beeinflussen – sie interagieren. Der Interaktionseffekt, der zwischen den beiden Persönlichkeitsdimensionen gefunden wurde, liegt bei b= 0,242. Praktisch bedeutet dies, ist eine Person laut Persönlichkeitstest sehr „gewissenhaft“, allerdings überhaupt nicht „verträglich“, so wird der Haupteffekt, der von „Gewissenhaftigkeit“ ausgeht gemindert. Gleiches gilt beim umgekehrten Szenario, da eine Person zwar hohe „Verträglichkeit“ aufweist, allerdings niedrige „Gewissenhaftigkeit“. Hier wird der Haupteffekt von „Verträglichkeit“ gemindert. In dem Fall, da eine Person in beiden Persönlichkeitsdimensionen hohe Werte aufweist, führt der Interaktionseffekt allerdings dazu, dass sich der addierte Effekt beider Persönlichkeitsdimensionen zusätzlich verstärkt. Addiert ergeben die drei Effekte b= 0,965. Nehmen wir wieder unser Personenbeispiel zur Hilfe. Person A hat einen Persönlichkeitstest gemacht. Dieser ergibt, er sei in „Gewissenhaftigkeit“ und in „Verträglichkeit“ durchschnittlich. Außerdem haben wir sein Gesundheitsverhalten gemessen und auch bezüglich dieser Skala zeigen sich durchschnittliche Werte. Person B jedoch ist laut Persönlichkeitstest um eine Standardabweichung „gewissenhafter“ und „verträglicher“ als Person A. Unser Regressionsmodell würde nun vorhersagen, dass Person B um fasst eine gesamte Standardabweichung besseres Gesundheitsverhalten aufweist (b= 0,965). Person B gehört also zu den 16% der Stichprobe, die das gesündeste Verhalten aufweisen bzw. 84% der Stichprobe zeigen ein schlechteres Gesundheitsverhalten. Ohne einen Interaktionseffekt, würde man also schlicht die Haupteffekte von „Gewissenhaftigkeit“ und „Verträglichkeit“ addieren. Der Interaktionseffekt hat also eine Verbesserung des Gesundheitsverhaltens bezüglich der Stichprobe bewirkt – in unserem Beispiel.

Persönlichkeitstests zur Vorhersage von Gesundheitsverhalten: Verträglichkeit

„Verträglichkeit“ zeigt den zweitstärksten Haupteffekt mit b= 0,311. Wenn wir beim bisherigen Beispiel bleiben, so würde eine solcher Haupteffekt bedeuten, dass Person B zu den ca. 40 Prozent gehört, die sich am gesündesten Verhalten (es handelt sich um einen Annäherungswert). Oder umgekehrt, 60 Prozent der Stichprobe verhalten sich ungesünder. Damit zeigt auch diese Persönlichkeitsdimension einen beachtlichen Effekt auf das Gesundheitsverhalten.
„Verträgliche“ Menschen sind insgesamt harmonieliebend und vermeiden eher Konflikte (für genaueres über „Verträglichkeit“ klicke hier). Sie halten sich also auch eher an Regeln. Hier könnte ein Grund für den positiven Effekt auf das Gesundheitsverhalten zu finden sein. Viele gesellschaftliche Regeln sind auch der Gesundheit zuträglich. So zum Beispiel das Anschnallen im Auto, nur nüchtern Auto zu fahren, Safer Sex oder nicht über rote Ampeln zu gehen. Außerdem sind verträgliche Personen oft sehr harmonieliebend und geraten damit weniger in Konflikte, die auch in Handgreiflichkeiten oder gar einer Schlägerei enden können. Im ersten Moment erscheinen diese Beispiele vielleicht etwas oberflächlich, jedoch vergisst man oft, dass der Straßenverkehr einer der häufigsten Gründe für Verletzungen oder gar Tode darstellt. Hinzu kommt, dass verträgliche Menschen häufig sehr optimistisch sind. Eine positive Einstellung zum Leben wirkt sich natürlich auch positiv auf die Psyche aus, womit psychische Erkrankungen wie etwa Depressionen seltener sind (Achat, Kawachi, Spiro, DeMolles, & Sparrow, 2000).
„Verträglichkeit“ weist außerdem einen negativen Interaktionseffekt mit „Extraversion“ auf (b= 0,143). Ein negativer Interaktionseffekt stärkt den Haupteffekt von „Verträglichkeit“, wenn eine Person geringe „Extraversion“-Werte aufweist. Umgekehrt jedoch mindert ein negativer Interaktionseffekt „Verträglichkeit“, wenn „Extraversion“ stark ausgeprägt ist. Dies ergibt auch inhaltlich Sinn. Extravertierte Personen kommen ebenfalls oft gut mit anderen Menschen aus. Jedoch sind sie außerdem häufig Erlebnis- bzw. Adrenalinsuchend. Man stelle sich vor eine Person ist aufgrund der hohen „Verträglichkeit“ viel mit anderen Personen unterwegs. Vor allem in jüngeren Jahren kann dies auch bedeuteten, öfters Alkohol zu trinken und sich von seinen Freunden zu riskanteren, gesundheitsschädlicheren Handlungen hinreißen zu lassen. Zeigt die Person dabei eine eher geringe „Extraversion“ ist sie allerdings in geringeren Maßen an riskanteren Aktionen interessiert und zeigt damit ein zuträglicheres Gesundheitsverhalten. Ist sie allerdings stark extravertiert, so würde die Risiken nicht scheuen, was wiederum zu negativen Gesundheitsverhalten führen könnte.

Persönlichkeitstests zur Vorhersage von Gesundheitsverhalten: Offenheit für Erfahrung und Gewissenhaftigkeit

Auch bei diesen beiden Persönlichkeitsdimensionen konnte ein erwähnenswerter negativer Interaktionseffekt gefunden werden (b= -0,205). Auch hier also bedeutet eine stärkere Ausprägung in „Offenheit für Erfahrung“ eine Minderung des Haupteffektes von „Gewissenhaftigkeit“. Eine vorstellbare Begründung wäre, dass laut Persönlichkeitstest sehr offene Menschen gegenüber Drogen oft liberalere Einstellungen vertreten und selbst konsumieren. Auch sind verschlossene Personen oftmals konservativer und bleiben beim Altbekannten. Beim Altbekannten sind ihnen alle Gefahren bekannt und man weiß, wie diese zu umgehen sind. Vielleicht lassen sich die Daten so erklären, dass wenn eine Person nur zu geringen Maßen „Gewissenhaft“ ist, so wirkt sich eine große Offenheit positiv auf das Gesundheitsverhalten auf, da diese oftmals auch mit Intellektualität, also Bildungsaffinität, einhergeht. Ein höherer Bildungsgrad wiederrum wirkt sich positiv auf das Gesundheitsverhalten bzw. die Gesundheit aus. Ist eine Person hingegen sehr gewissenhaft, wirkt sich eine große Offenheit eher negativ auf das Gesundheitsverhalten aus, aufgrund der angesprochenen Drogenliberalität sowie dem ausgeprägten Wunsch neues zu erleben und das Bekannte zu verlassen. Hierbei sind die Risiken unbekannt, was sich im Endeffekt negativ auf das Gesundheitsverhalten auswirkt.

Zusammenhang zwischen den Big-Five Persönlichkeitsdimensionen und Gesundheitsverhalten

Persönlichkeitsdimension Effekt laut Regressionsmodell in b
Gewissenhaftigkeit 0,412
Verträglichkeit 0,311
Extraversion 0,076
Neurotizismus 0,016
Offenheit für Erfahrung 0,002
Interaktion: Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit 0,242
Interaktion: Offenheit für Erfahrung mit Gewissenhaftigkeit -0,205
Interaktion Extraversion mit Offenheit für Erfahrung -0,143

Nach rechts scrollen

Fazit

Dass die Persönlichkeit das Gesundheitsverhalten beeinflusst, ergab sich grundsätzlich bereits aus der Theorie. Schließlich stellt die Persönlichkeit nichts Anderes als Verhaltensweisen dar, die besonders oft von einer Person gezeigt werden. Auch Gesundheitsverhalten bezieht sich auf allgemeine Verhaltenstendenzen und nicht auf einmalige Handlungen. Die Bedeutungskonstrukte beider Begriffe ähneln sich also bereits erheblich. Nun stellen die Persönlichkeitstaxanomie der Big-Five bzw. OCEAN darüber hinaus den Anspruch für das gesamte Handeln einer Person Bedeutung zu haben - entsprechend auch auf das Gesundheitsverhalten. Überraschend ist, dass die Persönlichkeitstestung in diesem Zusammenhang die Persönlichkeitsdimension „Verträglichkeit“ bedeutsamer befindet als „Neurotizismus“, welche mit mehreren Erkrankungen signifikant korreliert. „Verträglichkeit“ hingegen korreliert kaum mit den geprüften Krankheitsbildern (siehe Teil 1 dieses Blogbeitrages). In Bezug auf Gesundheitsverhalten kehren sich die Rollen beider Dimensionen gewissermaßen um. Dies könnte damit zu begründen sein, dass „Neurotizismus“ zu gegensätzlichen Verhaltensweisen im Kontext Gesundheit führt. Einerseits nämlich zur Vernachlässigung der Gesundheit und andererseits zu hypochondrieähnlichen Verhaltensweisen (Friedman, 2000). Nun führt letzteres in gemäßigten Ausprägungen dazu, dass Erkrankungen nicht vernachlässigt werden oder dass der Arzt zu Kontrolluntersuchungen auch wirklich aufgesucht wird. Es könnte also sein, dass diese beiden möglichen Konsequenzen neurotizistischer Persönlichkeitszüge sich statistisch ausgleichen, sodass kein Effekt gefunden wird. Weitere Forschung mit Persönlichkeitstests, welche Facetten von „Neurotizismus“ eine Vernachlässigung der Gesundheit bzw. erhöhte Sorge um diese bewirken, könnte an dieser Stelle Aufschluss geben.

Literaturverzeichnis

Achat, H., Kawachi, I., Spiro, A., DeMolles, D. A., & Sparrow, D. (2000). Optimism and depression as predictors of physical and mental health functioning: The Normative Aging Study. Annals of Behavioral Medicine, 22(2), 127–130.

Booth Kewley, S., & Vickers Jr, R. R. (1994). Associations between major domains of personality and health behavior. Journal of Personality, 62(3), 281–298.

Friedman, H. S. (2000). Long‐term relations of personality and health: Dynamisms, mechanisms, tropisms. Journal of Personality, 68(6), 1089–1107

Ingledew, D. K., & Brunning, S. (1999). Personality, preventive health behaviour and comparative optimism about health problems. Journal of Health Psychology, 4(2), 193–208